1946 – Traumatisierte Menschen

9/10.8. 2015

„…Eine schummerige Wohnung, ein Raum, steinerne Wände und Boden,

eher ist es eine Ruine, völlig zerstörte Wohnung, zerstörte Substanz. Der Blick schwenkt wie eine Kamera wiederholt an einer Wand entlang mit offenem Kabelschacht. Dort ist ein Mensch, der in diesem Zimmer haust. Es herrschen desolate Zustände, geradezu lebens-unwürdig. Dann wird die Anzahl der Bewohner irgendwie erweitert, es sind jetzt doch mehrere. Es sind Deutsche, es ist irgendwie die Situation nach dem Krieg. Dort sind auch Kinder, sie hocken oder kauern stumm, so wie alle hier, vegetieren in einer völlig zerstörten Behausung. Es ist das Jahr 1946.

Hier liegt alles in Schutt und Asche. Ein Kind sitzt auf dem nackten Boden, es mag um die 4 Jahre alt sein, es trägt einen dunkelblauen Anzug oder ein Mäntelchen. Es spielt mit einem kaputten Telefon, hält den Hörer ans Ohr, spielt wortlos, still und leise „telefonieren“. Kann sein, dass ein weiteres Kind da ist. Hier herrscht Schweigen, alle sind verstummt, jeder ist für sich.

Eine freundliche Stimme sagt – sie gehört wohl zu einem zu einem Kommandanten, aber ich kann ihn nicht sehen – sie kämen alle in eine neue Unterkunft, sie werden alle von hier weggebracht. „Die Reise wird losgeschossen“, dieser Satz wird ein paar Mal wiederholt. Das bedeutet, jetzt sofort! Schnell, ansonsten wird es heißen, sie arbeiten den Nazis zu. Die Menschen sollen unverzüglich nach England gebracht werden, in ein Areal von 450 qm. Ich kann es kurz sehen, es gibt dort auch Toiletten mit Wasserspülung.“

Später denke ich, sie sind alle traumatisiert, Erwachsene wie Kinder…

*** 

Die innere Nazi Keule erschlug mich, bevor ich auch nur ein Wort gesagt hatte. Niemand würde an meine Unschuld glauben, letztlich ich selbst nicht. Mit dem Alter 4 verband ich immerzu meine Teilnahme am Leben, da war ich da. Und hatte plötzlich Geschwister und auch irgendein ein Problem. Sehr wohl realisierte ich, dass die Dinge schon eine Weile liefen, aber es war kein fließender Übergang. Mit diesen Empfindungen und normalen Anomalien kam ich also in diesem Bunker an, es war ein Ankommen in der Welt – 2. Teil. Mit 4 kam ich mir relativ erwachsen vor, ich konnte sprechen, mich frei bewegen, wähnte mich selbständig und handlungsfähig.

Kam ich inmitten eines Tabus zur Welt – nein, ich war das Tabu.

 

„Kommunikation“

Auf jeden Fall gab es keinen Kontakt mehr. Weder zu mir selbst noch nach Außen. Meine inneren Anteile lagen ebenso danieder, das ganze Potential, die ganze Entwicklung lag brach. Im außen lebte mit Menschen zusammen, die ihrerseits traumatisiert waren, in einem desolaten Zustand, in sich selbst gefangen. Was also sollten sie von meinem Erlebnis mitbekommen, über das ich nicht sprechen durfte. Aber die Wahrnehmung, dass meine gescheiterten Kommunikationsversuche  – via Körpersprache oder durch seltsame Fragen  – ein Versagen der Erwachsenen waren, musste ich später dringend korrigieren. Es schürte unnötiger Weise meine Hilflosigkeit, meine Isolation und ein wahlloses Misstrauen in Menschen. Der Grund war einfach – ich überschätzte die Welt der Erwachsenen und ihre Fähigkeiten viel zu sehr.

Das kaputte Telefon – Das Kind wusste was es tat, es spielte telefonieren  – die Erwachsene verstand dieses Spiel später nicht, ich hielt es für ernst und wahr. Sprechverbot – ich entwickelte eine Sprache, mit der ich dieses Verbot einhalten konnte und nicht dadurch auffiel, dass ich gar nichts sagte. Zwar sagte ich nicht viel, denn die späteren familiären Entwicklungen verschlugen mir die Sprache und förderten diese Pseudo-Kommunikation.

1946 ist das Geburtsjahr meiner Mutter, genauer gesagt ist es einer der letzten Tage des Jahres. Zu dieser Zeit war der zweite Weltkrieg seit rund 19 Monaten zu Ende. In meinem Traum war die Verbindung irgendwann klar – meine Mutter und mich verband die Geburt. Mit 4 landete ich ein zweites Mal in der Welt und das Ende meines Kriegsschauplatzes lag etwa 19 Monate zurück. Alle Informationen steckten in der Zahl 1946.

Ein weiteres Problem verschwand jedoch sofort – eine Zeitverzerrung, eine Verzerrung der Wahrnehmung von Zeit und auch von Zahlen. Einige Träume beleuchteten das Thema dieser Zeitlücke, einmal war in diesem Zusammenhang von einem „Großen Diebstahl“ die Rede oder dass ich über Nacht etwas Gravierendes veränderte. Was in Wirklichkeit viel länger andauerte. 19 Monate fehlten und das spiegelte sich in Entwicklung und Schule wieder, aber nur leicht und bald lagen andere Ereignisse oder möglich Ursachen darüber.

 

Der Kommandant – meine Rettungsgeschichte

4 – kaum wieder da, musste ich auch schnell wieder fort, nach einer Art Blackout ging es in meine eigene Welt. Auf nach England – der Traum rekonstruiert die spontane, psychische Veränderung. Erneut – andere Sprache. Aber auch eine andere Kultur, doch nicht zu fremd, die Autos fahren dort links. Tatsächlich verdrehten sich für mich viele Dinge, nicht nur die Zahlen. Nach Erzählungen hielt ich eines Tages das Besteck anders herum, der Rest bleib Rechts-händisch. Und es war etwa zu dieser Zeit. Zwischen meiner Rettungsinsel und meiner Realität lag ein unüberbrückbar viel Wasser. Perfekt.

Welcome to your New Home,

es hieß „Zur Not“ und zog sich fortan durch alle Lebensbereiche. Doch es war auch ein Schutzraum. In diesem Provisorium konnte ich für eine bestimmte Zeit mit einem Minimum an Würde und Sicherheit leben, abgeschottet von all dem eine „normale“ Entwicklung machen. Vor allem gab es Toilettenspülung. Ein Teil des inneren Toxins konnte über die Zeit einfach abfließen, entweichen.

Dieses psychische Ausweich-Areal war 450qm groß – ein größerer Zeitraum, aber welcher – auf jeden Fall eine Verbindung zurück in die Realität. Vom Ende des Scheinjahrs „1946“ ging es ins reale Jahr 1991. Denn dort tauchte im Dezember der Traum auf „Erwachen aus dem Koma“. Etwa mit 20 begann jener Zeitraum, als ich versuchte mein Leben zu starten und nicht merkte, wie es mir Jahr für Jahr mehr entglitt.

45 Traumjahre später also war ich im realen Dezember 1991 angekommen – hier wiederum lag im Rückwärtsgang, 16 Monate zuvor, ein weiterer Lebensschnitt oder Bruch. Wieder hat es niemand mitbekommen, wieder machte ich es mit mir selbst aus, sprach nie mit jemandem darüber, schickte es in die Verdrängungsmaschine. Diesmal ging es jedoch nicht mehr automatisch, dafür musste ich sehr viel Energie und nun ja, Gewalt aufbringen. Irgendwann mit Mitte 30 hatte ich es geschafft, es war vergessen. Gleichsam nahmen die Symptome und Absurditäten noch einmal an Fahrt auf.

In 1991 tauchten diese Symptome auf, das heißt, sie waren in jenem Koma verortete und wurden plötzlich offenbar, sichtbar. Dennoch konnte ich sie nicht sehen, was auch daran lag, dass ich mich an ihre Vorboten bereits gewöhnt hatte. Teilweise konnte ich sie gar nicht benennen, denn für all das hatte ich weder eine verbindende Sprache, noch Worte noch einen Ansprechpartner. Es gab nicht, was es nicht geben durfte. Der Traum ist ein einziges Tabu. Das Leben war die Wiederholung von etwas Unsichtbarem, um es eines Tages zu finden und zu sehen. Und zu heilen.

Etwa Ostern 2011 war diese Lebensfahrt dann zu Ende und 2012 begann die Traumreise –  zurück in die Realität. Oder  „Nach Unfall zurück ins Leben“

2021-12-06T13:44:51+01:00