Traumduo/Ärztliche Tests & Meine Nachbarin und ich

Ungenaues Datum / 22.-27.7 2020

Wache in der Nacht mit Schmerzen auf, so hinter dem Brustkorb Richtung Lunge. Es ist ein Gefühl, als sei etwas verletzt oder die Rippen stießen gegen etwas Spitzes, etwas ist da beim Atmen im Weg. Danach weitet es sich über einen größeren Bereich und wird stärker. In einem Anflug von Panik setze ich mich auf und atme bewusst und intensiv, spüre aber wie der Kreislauf zu kollabieren droht. Keine gute Idee. Ich lege mich wieder hin. Dann wird es besser, die Panik legt sich, ich schlafe wieder ein.

(Später kann ich feststellen, dass der Beginn psychosomatischer Symptome etwa hier lag, etwas was ich so noch nie erlebt hatte. Bei allen Strapazen war der Körper eigentlich immer gesund, jedenfalls wenn ich nicht so genau hinsah. In diesen Monaten machte ich mir Sorgen, wusste aber nicht genau worüber. Das Gefühl zu sterben tauchte körperlich immer wieder auf und brachte mich an neue Grenzen. Mit meinem Hausarzt stand ich in regem Kontakt, aber der Körper war gesund.)

Die Träume dieser Nacht nehmen all dies auf und nehmen es teils auch vorweg. Die neue Sorge um mein Leben setzte etwas in Gang, weckte ein Gefühl.

Traum 1/ Die große Untersuchung beim Arzt

Dr. R. (reale Person, mein Hausarzt), eine unbekannte Assistentin sowie ein weiterer imaginärer Arztkollege sind anwesend. Ich äußere, verstopft zu sein. Die folgende Untersuchung lässt die Arzthelferin sagen, „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen soll“. Mit anderen Worten, das bilde ich mir ein, alles ist (körperlich) frei. Es wurden auch weitere Tests und Untersuchungen gemacht, das wirkte recht aufwändig und lange. Alles ergebnislos.

Am Ende bitte ich um Untersuchung der Lunge, wo ich es ja auch lokalisiert habe. Das Team ist etwas ungläubig, aber hier findet ja trotzdem ein großer Aufwand statt um die Ursache zu finden. Und tatsächlich, hier ist etwas. Nun ist es mein Arzt der sagt „Ja, da ist ein kleiner Koffer“. Ein Koffer???

***

Traum 2/ Begegnung mit meiner Nachbarin

Mache sauber in dem Haus das ich bewohne. Also ich wohne oben unter dem Dach und bin gerade unten, dort wo die Hausbesitzerin wohnt. Wohl um ihr etwas bringen zu wollen, oder um etwas abzuholen, weiß nicht mehr genau. Bin draußen am Haus zugange und mache die Fenster gründlich sauber. Es ist ein gutes Gefühl, so sauber zu machen, mich um das Haus zu kümmern. Bin eigentlich schon fertig und entdecke noch eine Scheibe, die Dreck und Staub an den Rändern hat. Als ich das Fenster aufstoße sehe ich, dass ich eigentlich mit dem Handfeger ganz gut drankomme. Ich bin aber auch schon angezogen, trage eine längerer Jacke/Mantel, wollte evtl. jetzt auch los. Aber egal, ich mache das jetzt zu Ende. Kurzentschlossen und auch so gegen meine innere Ordnung gehe ich mit Schuhen noch mal ins Haus, bzw. nach oben in meine Wohnung, um den Handfeger zu holen. Ein wenig schräg oder pingelig scheint die Aktion zu sein, aber dann soll es jetzt auch akkurat erledigt sein und fertig werden.

Als ich die letzten Stufen hochkomme, höre ich schon meine Nachbarin hantieren. Vorsichtshalber melde ich mich bei ihr an mit „Nicht-erschrecken“ – da steht sie auch schon vor mir mit einem Pulli in der Hand und plappert drauf los. Etwas in der Art, dass sie ja einen orangefarbenen Pullover brauche….ach der Herbst hat seine Vorteile, wenn man das dann tragen kann. Ich entnehme daraus, sie braucht den Pulli jetzt und will ihn einzeln waschen. Sie geht auch ins Bad und wäscht ihn per Hand unter der Dusche. Inzwischen schaue ich nach dem Handfeger und sehe, dass das Wasser aus ihrer Dusche in meine Wohnung läuft.

Sie wohnt zu einer Seite über die ganze Etage und ich zur anderen Seite, wir teilen uns quasi das Obergeschoss. Die nach oben führende Treppe bildet die Mitte und endet mit einer Tür. Dahinter liegt ein kleiner quadratischer Flur, von dem aus sich die Dachfläche zu den beiden Seiten abteilt. Ebenfalls mittig, in diesem Flur liegt also ihr Badezimmer, auf eine Art ragt er schon über ihre Mitte hinaus auf meiner Seite.

Während des Geschehens kann ich einen kurzen Blick in ihre Wohnung erhaschen. Sie ist vollständig eingerichtet und reicht noch recht weit nach hinten durch. Das wirkt irgendwie größer als meine Wohnung, ich wundere mich. Jetzt sehe ich, dass mein Teil des Obergeschosses gar nicht ausgebaut ist. Ich sehe die losen Bodenbretter, die blanken Balken und Schrägen der Dachkonstruktion, ich sehe leeren unbewohnten Raum. Aber ich dachte auch an meine Nachbarin und an meinen eigenen orangefarbenen Pulli mit dem Lochmuster (den ich nie anziehe) und überlege, ob ich ihn ihr geben soll. Wo sie doch die Farbe so gerne mag. Sie redet inzwischen weiter, überhaupt ist das alles viel und recht wirres Zeug, was sie redet.

****

Die Verknüpfung der beiden Träume war am Anfang gar nicht da….Angesichts der Leere im Dachgeschoss und der daraus folgenden fehlenden Vernetzung, war das nur konsequent. Der Traum spricht Bände für ein ungreifbares Lebensgefühl, für ein unsichtbares Scheitern, für eine unentdeckte Lebensbehinderung.

Der Traum mit dem Koffer war so unverständlich und so geriet diese ärztliche Untersuchung für die nächsten Monate in den Modus des Vergessen. Mein Fokus blieb bei der Begegnung mit der Nachbarin. Etwas an diesem Traum berührte mich. So berührte mich die Begegnung mit der Frau positiv, da war so viel Mitgefühl trotz ihrer Verschrobenheit. Aber da war auch Entsetzen drüber. Eigentlich waren es noch mehr Empfindungen, denn mit meiner Ruhe, meine Souveränität, meiner Ordnung und dem Entschluss zur Fensterputzerei fühlte ich mich überlegen, sicher, über alles im Bilde. Und ich fühlte mich verantwortlich, etwas zu tun.

Der erste Schritt am nächsten Morgen

..folgte direkt aus dem Unwohlsein heraus. Aus dem kurzen Moment zwischen Schlaf und Wachsein nahm ich schon oft den Faden auf und wusste, nachdem ich diese karge, unbewohnte Dachwohnung sah, was ich tun wollte. Es war eine Kombination aus Wunsch und Dringlichkeit. Im Geiste richtete ich mir den Raum her, baute ihn aus, strich die Holzleisten, setzte größere Fenster ein, stellte Möbel und Accessoires. Von den Raum-Maßen her hielt ich mich etwa an die vorhandenen Gegebenheiten. Es machte richtig Spaß und in nur ein paar Minuten war es so wie ich es haben wollte. Das war auch gut so und darum ging es auch so leicht. Dass der Teil nicht leer bleiben durfte war nicht schwer zu verstehen, aber was es wirklich bedeutete, wusste ich noch nicht. Mir fehlte das Gefühl für das, was ich wirklich fühlte.

Mit wem ich mir das Dachgeschoss teilte, meinte ich zu wissen und das beunruhigte mich doch auch. Diese Nachbarin war vieles – ein wenig rastlos, schreckhaft, etwas distanzlos und verwirrt, vor sich hin plappernd, hilflos, kindlich und dabei auf ihre Art liebenswert. Und was den Blick in ihren Teil der Wohnung verriet war zugegeben auch überraschend. Ihren Alltag schien sie irgendwie im Griff zu haben, doch außerhalb der Wohnung befürchtete ich, wäre sie ein Stück weit lebensunfähig.

Sie lebte in ihrer eigenen Welt und hatte anscheinend nur wenig Kontrolle über ihre Bedürfnisse und Handlungen. Wenn sie etwas wollte, dann am liebsten sofort und setzte es entsprechend um. Und nun sah ich, wenn es schief ging, badete ich es aus. Dass ich sie trotz allem sofort ins Herz schloss, ging irgendwie unter.

In ihr erkannte ich durchaus mein anderes Ich und mein Leben. Dabei sah ich mich in letzter Zeit vor allem mit all dem Kranken konfrontiert. Vieles wurde mir bewusst und war nun auch über-präsent. In der Nachbarin sah ich mein Ungleichgewicht, von dem eine latente Gefahr ausging. Zwar machte ich ihr keinen Vorwurf, aber ich musste ihr nun etwas entgegensetzen. Nach meinem Gefühl und Verständnis zog ich mit meinen inzwischen gesundeten Anteilen ins Haus ein. Denn wie es hier oben wirklich aussah, sah ich so zum ersten Mal.

 

Der große Irrtum war in dem kleinen Koffer

Einige Zeit später, vielleicht ein paar Wochen.

Ich war bestürzt und fühlte eine Leere, oder als ob ich etwas schmerzlich vermisste. Diese Perspektivwechsel waren immer ziemlich unterschiedlich, aber immer intensiv. Dieser hier brach mir fast das Herz, wie ich es selten vernahm, eigentlich nur, wenn es um meine Schwester ging.

Ja – Tatsächlich machte ich hier gründlich sauber, Fensterputzen ist die Disziplin, die ich sonst gern liegenlasse. Es gab etwas, dem musste ich unbedingt auf den Grund gehen. Aufgrund dieser (unbewussten) Gründlichkeit, einer offenbaren Planänderung durch das Setzen einer neuen Priorität – ergab sich diese Begegnung. Die Besitzerin des gesamten Hauses bin ich natürlich auch  – ich bringe und hole mir die Dinge, trage sie mir zu.

Meine Nachbarin war nicht das Debile, das Unfähige. Nein – sie musste allein schaffen, was eigentlich für zwei vorgesehen war. Ich war der Teil, der fehlte, sich ausgeklinkt hat. Etwas in mir konnte seinen Platz nicht einnehmen, die eine Hälfte, die Gefühlsseite, die symbolisch dargestellt weitestgehend leer bleiben musste, damit keine Verbindung entstand. Aber sie war die ganze Zeit da und rockte das Leben allein. Sie hat mich nicht in der Gosse landen lassen, obwohl ich immer nahe am Abgrund war.

Mit meinen Gedanken erkannte ich etwas aber mal wieder nicht mit dem Herzen. So wollte ich mit dem rationalen Teil dort oben einziehen, der die Dinge im Griff hat – und wäre wieder allein.

Oben herum war ich durchaus etwas undicht, Traumata führen einerseits zu einer Vergrößerung des Angstzentrums. Die leichte Verwirrung, Anspannung/Hektik oder die Schreckhaftigkeit waren kein Spleen, hier kamen zwei Merkmale dieser Veränderung zum Vorschein. Auf der anderen Seite verkleinert sich der Hippocampus – er ist wie ein Schwamm als das Aufnahmeareal für die bewussten Vorgänge. Symbolhaft die Sache mit dem Alltag, den etwas seltsamen Anwandlungen und vielen kleinen Überschwemmungen.

Indem ich diese Nachbarin als das Kranke ansah, stellte ich ihr bzw. mir selbst den Koffer vor die Tür. Ich nahm mir die Luft zum Atmen, bedrückte mir die Herzgegend. Und wieder merkte ich nicht, dass ich dem Gefühl der Liebe begegnete. Den Pulli ziehe ich eigentlich nie an, weil er so ein komisches Lochmuster hat. Aber ich lasse ihn im Schrank, weil ich die Farbe so mag.

Der Traum hat mit allen anderen Träumen gemeinsam, dass es die wissenschaftliche Information, den psychischen oder medizinischen Hintergrund nicht braucht, um zu verstehen und mit mir selbst ins Reine zu kommen. Was fehlte um wirklich zu verstehen, war immer ein Gefühl. Ohne ein Gefühl für mich selbst war es auch hier nicht möglich zu sehen: Warum ich das all die Jahre geschafft hatte. Weil ich so bin wie ich bin, auch mit halber Kraft. Das war nie ein Fehler oder Defizit, das war ein „Trotzdem“, ein „Obwohl.“

2022-01-10T11:00:04+01:00