Traum/Die verpasste Fähre /2015

„…Mit dem Fahrrad kam ich ganz entspannt an dem Fähranleger an. Dort lag die Fähre die ich erreichen wollte und ich wusste, dass sie im Begriff war abzulegen. Wie oft, war ich die Letzte….

…Am etwas entfernten, landseititgen Ende des Stegs schloss ich in aller Ruhe und Bedeutsamkeit mein teures Fahrrad an. Als ich mich dann in Bewegung setzte, sah ich, oder musste ansehen, wie die Fähre vor meiner Nase ablegte. Sogleich hatte ich ein ungutes Gefühl, aber es dauerte noch ein paar Sekunden, bis ich die Situation erfasste. Eigentlich wusste ich es ja – auf der Fähre war meine Familie, sie fuhren jetzt ohne mich und irgendwie ging ihre Reise ins Ungewisse. Kurz war ich mit an Bord oder konnte sie sehen. An ihren Handgelenken waren Nummern oder kleine Armbänder mit Nummern. Es hatte etwas von Deportation. Ihr Verbleib, ihr Wohlergehen und auch ein Wiedersehen, das alles war plötzlich ungewiss. Meine Stimmung schlug um, Angst, Schuld und ein Gefühl meine Familie im Stich zu lassen, kam auf.

Szenenwechsel.

Zusammen mit einer „wichtigen oder hochrangigen Person der anderen Seite“ stand ich nun an Bord einer anderen Fähre. Vom Gefühl her hatte die eine andere Route, die ich ebenfalls nicht kannte. Wo die andere Fähre war und ob wir sie irgendwo einholten, war ungewiss. Ein Zusammentreffen war in weiter Ferne, so wie auch kein Land weit und breit zu sehen war. Die Fähren waren jeweils in einem guten Zustand, an der Seetauglichkeit mangelte es nicht. Der Mann und ich unterhielten uns auf Englisch. Das war oft Hinweis auf einen größeren Kontext, oder ein besonderes Merkmal für erhöhte Aufmerksamkeit. Ihm gegenüber brachte ich mein Bedauern zum Ausdruck, er kannte meine Situation. Es war wohl in Ordnung ihn anzusprechen, aber er wirkte nicht sehr empathisch, eher distanziert und unterkühlt. Er sagte auch nicht viel, nur so etwas wie „das sei jetzt so, nun, da kann man nichts machen“. Das war in dem Moment sehr wenig, enttäuschend, ich hatte insgeheim vermutet, bei seiner Position könne er etwas für mich tun.

Fähre fahren lassen, Lässigkeit/Fahrlässigkeit, 

 

…Der Traum hinterließ für viele Tage ein beklemmendes Gefühl und einen subtilen Schrecken.

Dass ich die andere Fähre nicht treffen würde lag daran, dass es nur die eine gab. Ich war allein im Ungewissen unterwegs. Über die Familienmitglieder konnte ich mich selbst wahrnehmen, wusste es ja aber nicht.

Das Phänomen der Zeit findet sich hier in Verbindung mit einer Entscheidung wieder – wie knapp ich etwas verpassen kann, wenn es mir nicht wichtig genug ist. Im Gegensatz dazu hatte ich das wartende Flugzeug am Anfang der Traumreise bekommen, obwohl ich da sehr wahrscheinlich viel weniger oder eigentlich gar keine Zeit mehr zur Verfügung hatte –  als beim Bummeln am Steg. Verpassen und Mitfahren – beides liegt in ein und demselben Moment. Dabei ist die Zeit so subtil wie das Gefühl selbst.

 

Der Mitspieler im Traum kannte mich, aber ich ihn nicht. Es dauerte, bis ich seine Mimik, den Ausdruck und seinen Tonfall  übersetzen konnte. Jetzt erst konnte ich zulassen, mich in ihm zu sehen, denn er spiegelte mich. Er warf mir den Teil meines Selbstmitleids und der Überheblichkeit zurück, mit der ich diese Situation herbeigeführt und nun empfunden hatte. Trotz der Konsequenzen kam ich im Traum nicht über ein instrumentalisiertes, verhaltenskonformes Bedauern hinaus, trotz der Offensichtlichkeit entging mir der Ernst der Lage, weil mit das aufrichtige Gefühl fehlte.

Mit einer leicht unterkühlten Gelassenheit ließ er mich wissen, dass ich mit meiner Entscheidung leben müsste. Der Mann wies auch meine stille Erwartungshaltung zurück, dass er mir nun aus der Patsche helfen könnte. Obwohl es seiner Position, seinen Verbindungen und Möglichkeiten ganz bestimmt entsprochen hätte. Doch ohne einen Funken Einsicht oder Demut gab es hier auch keine Wärme zurück und auch keine Gnade. Mit diesem offenen Moment endete der Traum.

Wie lange kann ein Moment sein? Mir fehlte das Bewusstsein für eine Entscheidung, für wichtig und unwichtig. Es ging um die eigene Zusammenkunft.

2021-03-30T17:33:56+02:00